Fremdsein

 

 

In 13 Jahren Schule wollte man mich unbedingt zu einem zuverlässigen, genauen und pünktlichen Wesen erziehen. Von Freude, Spaß, Umarmen, Mitgefühlt, Gastfreundschaft oder gar Liebe war in diesen Jahren nicht die Rede.

 

Als ich 6 Jahre alt war, wurden türkische Männer mit Schnurrbärten ins Peißenberger Kohlenbergwerk eingefahren, denen ich auf den Straßen des Ortes begegnete. Sie waren mir ein wenig Unheimlich, weil sie so fremd aussahen. Ich fürchtete mich. Meine Abenteuer in der bayerischen Wildnis brachten mich einmal ins Krankenhaus. Ich lag mit 12 anderen in einem Raum, darunter auch zwei Türken. Sie machten Späße mit mir, sie mochten mich, so dass sie das Fremdsein verloren.

 

In Poona gab die spielerische Gruppe Centering mit Prasad. Ich machte eine harmlose Übung mit dem ersten Japaner, den ich in meinem Leben sah, und plötzlich kam eine so unglaublich tiefe Angst in mir auf und ganz verschwommen sah ich ihn vor mir mit Messer und Schlitzaugen und Harakiri. Die Bilder verschwanden zwar schnell und doch war ich geschockt, was in mir vorging.

 

In den Osho-Kommunen lebte ich mit Menschen aus der ganzen Welt. Es war ein unglaublicher Lernprozess. Meine Glaubenssätze waren nicht mehr allgemein gültig. Verabredungen wurden nicht eingehalten, Dinge wurden nicht systematisch, sondern chaotisch diskutiert. Ich musste mich anpassen, ändern, einsehen, akzeptieren. Und langsam wurde ich so etwas wie ein Weltenbürger.

 

Als ich mich dann in Vivien verliebte, ging es natürlich noch viel tiefer in die Gewohnheiten. Als der Schleier der Verliebtheit viel, musste ich plötzlich feststellen, dass sie ein Mensch war, der absolut nicht in Ordnung war und Dinge vollkommen falsch sah. Es dauerte 10 Jahre, bis ich langsam zu begreifen begann, dass ihr Art zu sein, zu denken, zu reagieren einfach nur anders war, als ich es kannte und nicht falsch.

 

Und jetzt kommen die moslemischen Syrer mit ihren verschleierten Frauen und die Naturvölker Afrikas in unser Land. Ich will jetzt gar nicht von der AFD reden, solche gibt es immer schon und überall, warum nicht auch bei uns. Sie befinden sich ein bisschen auf dem Stand, auf dem ich als sechsjähriger war und einfach nur Angst hatte vor dem Fremden. Oder sie sind Hartz IV Empfänger und sagen: „Und was ist mit uns? Wer macht eine Willkommenskultur für uns? Wer hilft uns?“

 

Ich rede jetzt von denen, die sagen: „Leute, integriert euch. Pünktlichkeit, Sauberkeit, Emanzipation, Entschleierung, Arbeit, Arbeit, Deutsch lernen, aber ein bisschen Dalli.“ Seit einem Jahr wohnt ein junger Syrer (18) bei uns im Haus. Jeder Tag ist eine neue Herausforderung für ihn. Liebevoll ist er, freundlich, intelligent, unpünktlich, unzuverlässig, er lügt, kommt zu spät, gar nicht. Er schenkt seinem Freund Geld, welches ihm dann fehlt. Schickt seinen kargen Lohn nach Syrien. Schließt unglaubliche Handyverträge ab. Er bringt mich an meine Grenzen.

 

Fast alle meiner Freunde sagen zu mir: „Du musst strenger mit ihm sein, da würd ich durchgreifen, so kann er das nicht machen, er muss die Konsequenzen spüren.“ Jaja, aber das sagen alle zu ihm. In der Schule, in den Ämtern, in der Presse. Überall. Dann sagt er zu mir: „Sag mal Mr. Karl, bin ich ein schlechter Mensch? Mache ich alles falsch?“

 

Dann wieder fallen ihm die Augen heraus, wenn er die miniberockten Mädchen sieht. Aber wenn es ums heiraten geht, dann muss es dann doch eine mit Schleier sein. Jetzt hat er eine Freundin ohne Schleier und sie hat das erste Mal mit seiner Mutter in Syrien geskyped. Sie war geschockt. Er hat gesagt: „Ach Mama, das ist zu Hause, draußen trägt sie schon einen Schleier.“ Ein Lügner.

 

Wenn er es ganz bunt treibt und ich nicht mehr weiter weiß, sage ich, dass im Koran steht, dass das was er macht „haram“ (verboten) ist, und es für Allah einfach nicht ok ist, wenn er so ist. Dann sagt er: „Mr. Karl. Du hast Recht, das ist nicht gut.“ Und er ändert sich sofort (z.B. wenn er vor Heimweh nichts mehr isst).

 

Wir leben in einer Integrationsdiktatur. Wir, die Weltmeister der Integration. Wenn wir zu Besuch in einem anderen Land sind, ist es für uns der Inbegriff von Integration, aus 5-Litereimern Sangria zu trinken. Menschen, vor allem aus der bayerischen christlichen Partei, die Jahrhunderte lang gegen die Gleichberechtigung der Frauen oder Gleichgeschlechtlichkeit gekämpft haben und an Stammtischen sexistische Sprüche noch und noch loslassen, entdecken plötzlich ihre höhere Aufgabe darin, die Befreiung der islamischen Frau zu fordern. Da ist dann plötzlich Schluss mit Herdprämie, bei 7 Kindern.  Und die Nonnen in den Klöstern laufen nach wie vor in burkaähnlichen Aufmachungen umher.

 

Wir befinden uns auf so einem hohen und arroganten Ross und merken es nicht mal. Uns ist jegliches Mitgefühl für andere Menschen und Nöte entfallen. Wir denken nur an uns selbst und unsere selbstverständlichen Freiheiten und unseren Reichtum. Wir sehen und urteilen nach unseren Maßstäben. Wir haben unsere Kindheit vergessen, wir haben unsere Vergangenheit vergessen, wir haben Krieg vergessen, Not, Flucht. 

 

Kürzlich wurde in Frankreich gewählt. Trump wirft Bomben in Syrien (und kriegt auch noch Beifall dafür), zündelt mit Atomwaffen, die Ostukraine ist nicht weit weg, so nicht die Krim. 70 Jahre kein Krieg. Das ist eine kurze Zeit. Wer weiß, wann wir wieder Hilfe benötigen. Sollen wir dann ersauffen im Mittelmeer?

 

Für mich gibt es ein paar unverrückbare Dinge, die ich beachtet haben möchte. Das eine ist, dass man Menschen, die verfolgt werden und Asylrechtsanspruch haben, auch hilft. Dass so viele europäische Staaten hier ihren Beitrag nicht leisten ist eine Schmach, jedoch keine Ausrede, es selbst nicht zu tun. Unser Reichtum ist so enorm im Vergleich zu anderen Ländern auf der Welt, wir müssen hier, soweit es geht, diesen Menschen zur Hilfe kommen. Und wir haben auch noch etwas aus unserer Geschichte gutzumachen. Da iss nix mit vergessen. Das hat noch kein Mensch vergessen.

 

Wir können sicher nicht ganz Afrika aufnehmen. Ich weiß, dass viele, meist grüne Mitbewohner das wünschen. Verbohrte gibt es links wie rechts.

 

Was es braucht, ist eine klare Einwanderungspolitik, wie sie beispielsweise die USA seit langem praktiziert über das Green Card System (zumindest bis Trump kam). Es braucht Kontingente, es braucht ein Auswahlverfahren, es braucht Deutschunterricht bereits im Ausland über die Goetheinstitute. Es braucht Arbeitsplätze, die gesucht werden – so hat das Handwerk ja ein riesiges Problem und genau im Handwerk kann man sicher in der 3. Welt Menschen finden, die da begabt sind.

 

Vor allem aber braucht es ein Austauschprogramm. So könnten z.B. Deutsche nach Nigeria gehen und Nigerianer nach Deutschland. Wir könnten eine Steuerverwaltung, ein Gerichtwesen aufbauen. Wir könnten das größte Problem, die Korruption, helfen einzudämmen. Wir könnten das Land technologisieren. Wir sind eine Welt und eine Menschheit. Das wäre dann eine Globalisierung, die allen hilft.

 

Ich wünsche mir für die Menschheit, dass sie ihr Herz öffnet und das Fremde begrüßt, die Menschen hineinlässt in ihre Herzen, sie spürt, sie umarmt, Geduld hat und liebt.