Mohannad

 

Mohannad ist ein 17-jähriger syrischer Flüchtling, der über die Balkanroute mit seinem älteren Cousin Mahmoud geflüchtet ist und Asyl beantragt hat. Er hat mir nie erzählt, was vorgefallen ist, es kann sein, dass er aus gebildetem Elternhaus kommt, er macht auch einen intelligenten Eindruck, aber er spricht nicht Deutsch oder Englisch. Sein Onkel hat sich mit Zigaretten beide Hände unzählige male verbrannt, er hat lauter gelbe Flecken an den Händen, dies tat er in der Zeit als er in der Massenunterkunft in Tegernsee untergebracht war. Ich vermute deshalb, dass es ein Trauma gibt, oder Erfahrungen, die ein Mensch nicht machen möchte.

 

Nach einem halben Jahr sind beide in einer Wohnung in einem kleinen Dorf im Landkreis Miesbach untergekommen. Sie bewohnten zusammen ein Zimmer, in der 60 qm Wohnung waren noch 4 Nigerianer untergebracht.

 

Ich bin Mr. Karl, so werde ich genannt, und bin Asylhelfer im Dorf und betreue dieses Haus.

 

Die Nigerianer sind eifrige Deutschlerner, suchen nach Arbeit und Kontakt, sind intelligent und lernen sehr schnell, wie in diesem Land der Hase läuft. Zwei haben bereits geringfügig Arbeit.

 

Die beiden Syrer saßen im letzten halben Jahr in ihrem Zimmer und beschäftigten sich mit ihren Mobiltelefonen. 24 Stunden. So schien es wenigstens. Wenn ich kam, um Papiere auszufüllen, einen Internetanschluss zu bestellen oder ähnliches, hieß es immer nur: Mr. Karl – ich arbeiten. Und ich sagte, Mr. Mohannad: Deutsch lernen. Gut, sagten sie und starrten wieder in ihre Handies.

 

Mohannad hat 2 Schwestern in Dortmund und einen Onkel in Solingen. Dorthin fuhr er einmal um auszukundschaften ob dort wohnen könnte. Er guckte auf Bahn.de und versuchte ein Ticket zu kaufen (vermutlich mit Hilfe von den Nigerianern) und buchte das günstigste Ticket nach Dortmund, fuhr los, suchte in München nach einer Verbindung und stieg in den ICE, denn sonst fährt ja direkt kein Zug dorthin. In Würzburg wurde er kontrolliert und er hatte ein falsches Ticket. Falscher Zug, falscher Preis, Euro 20,00 Unterschied, Polizei, Anzeige, Strafbefehl Euro 140,00. Ich schrieb an die Bahn wegen der besonderen Umstände, doch es hieß: Deutsche und Ausländer egal welcher Herkunft, Alter etc. müssen gleich behandelt werden. Er kann es abstottern. Ich erklärte ihm das deutsche Bahnsystem. Ich fragte ihn: „Alles klar?“ Er meinte: „ Ja.“ Er ist ja ein höflicher Mensch.

 

Zwei Wochen später kommt die Gerichtshilfe und nimmt ihn in die Zange: Warum, weshalb, usw. Er zittert am ganzen Leib vor Angst. Ich bin dabei und sage: „Es kann dir nichts passieren, du kommst nicht ins Gefängnis.“ Er ist etwas erleichtert. Und dann zum Abschied die Drohung: „Wenn du nochmal …… .“

 

Nur drei Tage später löst er ein Bayernticket beim BOB und fährt um 8.30 nach München. Tja. Das Bayernticket gilt erst ab 9 Uhr. Strafe 60 Euro wegen Schwarzfahren.

 

Ich schreibe wieder einen Brief und recherchiere, dass die Rückfahrkarte nach München Euro 0,30 weniger gekostet hätte und mit der Bitte um …… . Keine Antwort. Aber ich habe nichts mehr gehört seitdem. Vielleicht war da ja ein Mensch mit Mitgefühl.

 

Die nächsten Wochen vergehen mit warten, mit Arztbesuchen und ähnlichem und dann kommt plötzlich ein Brief: Asyl gewährt. Aufenthaltserlaubnis. Warten, Bilder, Antrag auf Reisepass stellen. Auf einem Formblatt muss Mohannad bei 75 islamischen Gesellschaften von denen weder ich noch er jemals gehört hat, ankreuzen, ob er dort Mitglied ist. Das geht an den Verfassungsschutz. Ja, denken die, dass das jemand ankreuzt, wenn er Mitglied ist.

 

Dann plötzlich entsteht Streit mit den Nigerianern. Die fühlen sich benachteiligt und sagen, nur weil wir Schwarze sind, werden wir nicht anerkannt. Sie sind zusammen mit den Syrern gekommen und warten immer noch auf ihr Erstgespräch (nach einem Jahr) und die Syrer haben schon Asyl bekommen. Sie sind Eifersüchtig. „Die Syrer bekommen einen Integrationskurs und alles. Und wir?“ fragen sie. Obwohl die Araber alles Terroristen sind. Und wir? Haben wir jemals jemand in die Luft gesprengt. Ich erkläre ihnen die Situation mit dem Krieg usw. Es beruhigt sich wieder, sie verstehen, dass Mohannad gerade davor geflüchtet ist.

 

Dauert hier in diesem Lande – Landkreis alles andere ewig bis man überhaupt einen Termin bekommt, das Schreiben, dass die Syrer die Asylunterkunft verlassen müssen kommt innerhalb einer Woche. Sie haben zwei Monate Zeit, eine Unterkunft zu finden. Im Landkreis Miesbach gibt es keine Unterkünfte. Und es gibt auch niemanden der einem hilft.

 

Aber die Syrer möchten sowieso zu ihren Verwandten im Norden. Der Cousin hat dort seine Frau und ein 2-jähriges Kind. Also gut. Es wird Hartz  IV beantragt, dann geht es los. Mohannad ist nicht Volljährig, er bekommt kein Konto bei der Bank. Hartz IV wird nicht auf fremde Konten überwiesen. Kein Hartz IV. Ich interveniere, telefoniere mit Jugendamt, SBG, Pfarrer und Bürgermeister. Hartz IV wird ausnahmsweise auf mein Konto überwiesen. Ich kürze ihm die erste Rate für das Bahnticket, welches er abstottern muss.

 

Das Jugendamt müsste ihn eigentlich in Obhut nehmen, da er aber im Oktober 2016 bereits 18 wird und zu seinen Schwestern möchte, verzichtet man drauf. Originalton: Bis das durch ist beim Gericht ist, ist er eh schon 18. Er will auch nicht. Denn er bekommt dann einen Vormund und muss ihn alles fragen, was er tun darf.

 

Inzwischen stellt sich heraus, dass die Schwestern eine zu kleine Wohnung haben. Ein Onkel in Solingen will ihn nehmen. Der Onkel unterschreibt das auch. Ich rufe ihn an und will was fragen, die Adresse. Kein Wort Deutsch.

 

Am 7. Mai fährt er zu seinem Onkel nach Solingen, sein anderer Cousin zu seiner Frau in Löhne. Am 15. Mai fahre ich für 6 Wochen in Urlaub (und habe kein schlechtes Gewissen). Ich fahre mit dem Rad über die Alpen nach Pescara. Ich will eigentlich bis Kreta. In Pescara falle ich vom Rad, Rippenprellungen, Heimreise. Eine Nachricht auf dem AB: „Hier Mohannad. Ich brauch deine Hilfe.“ Ich bin Asylhelfer und nicht SBG Helfer. Aber ich mag ihn. Später wird er einmal sagen: „Mr. Karl, du bist der einzige Mensch in meinem Leben, der mir jemals geholfen hat.“ Das sitzt und treibt die Tränen auch wenn ich weiß, dass es nicht stimmt. Aber ich glaube, dass er gespürt hat, dass ich ihn mag so wie er ist. Selbst andere Helfer vor Ort mögen die beiden Syrer nicht besonders. Sie nennen sie faul, unverschämt, fordernd, sie wollen nicht Deutsch lernen, sie sind nicht dankbar und was noch alles. Aber sie sind dankbar. Man muss es nur spüren. Vermutlich wurde auch ihnen gesagt: „Du, in Deutschland kriegst du ein Haus und ein Auto.“ Auch den Immigranten in die USA vor 200 Jahren wurde gesagt, ihr bekommt eine Farm, Land, eine Kutsche usw. Dass das Land von den Indianern geraubt wurde und die sich mit Pfeil und Bogen wehren würden blieb unerwähnt. Auch Kohl hatte blühende Landschaften versprochen.

 

Aber lassen wir uns bei der Geschichte bleiben. Mühsam über 3 Wochen habe ich sie Stück für Stück herausgefunden.

 

Am 27. Mai, musste Mohannad seinen Onkel in Solingen wieder verlassen. Das Landratsamt Solingen lehnte eine Unterkunft in der Wohnung des Onkels ab. Sie war zu klein. Also nach 3 Wochen wurde es zu eng und Mohannad stand auf der Strasse. Dem Cousin ging es nicht besser. Er schlug seine Frau und sein Kind. Die Polizei warf in hinaus und die Frau will nichts mehr von ihm wissen. Auch ich mag ihn, aber ich kann‘s ehrlich gesagt verstehen. Tja, so schnell lernen Frauen in Deutschland von ihren Geschlechtsgenossinnen.

 

Mohannad kommt nach Miesbach und sucht Hilfe. Er hört, dass ich nicht da bin. Das alte Zimmer, welches immer noch leer steht (die sog. Flüchtlingsseuche ist ja abgeebbt), wird ihm vom Landratsamt verwehrt. Es ist ja ein Asylheim. Er ist aber kein Asylbewerber mehr. Er sucht mich. Hört, dass ich weg bin. Geht am 8.6.2016 zum Sozialamt Miesbach und möchte Geld (SBG nenne ich das ab jetzt). Man drückt ihm einen Antrag in die Hand und sagt, füllen Sie das aus oder gehen Sie zu Herrn Giggenbach (ich bin ja scheinbar Mitarbeiter vom Landratsamt geworden). Er geht zum Jugendamt. Man will ihm helfen. Ich schätze die Mitarbeiter dort sehr. Sie reden mit ihm 2 Stunden lang, bieten ihm eine Unterkunft und dass sie alles für ihn ausfüllen. Als er hört, dass er dann zu einer Pflegefamilie kommt, verlässt er fluchtartig das Jugendamt, er hat vermutlich Angst. Oder was immer. Er wird ja in zwei Monaten 18. Vor allem bekommt er dann kein Geld. Sondern nur Unterkunft und Verpflegung.

 

Er fährt nach München (schwarz vermutlich aber ohne Kontrolle, Geld hat er ja keins bekommen). Wohnt seitdem bei einem syrischen Freund. Dieser hat ihm auch 700 Euro geliehen, die er zurückzahlen muss. Er will in München wohnen. In dem Jahr, als er bei uns wohnte, hatte er außer mit den Asylhelfern keinen Kontakt zu irgendjemand. Es gibt niemand, der sich für die Menschen hier interessiert, sie können sich eh nicht verständigen, es gibt keine Arbeit. Nichts. Er will nach München. Ich verstehe ihn. Als ich ihn später treffe kann er plötzlich viel besser Deutsch. Er lernt mit seinem Freund selbständig aus einem Buch. Ich bin überrascht. Er hat ja syrisches Abitur. Sagt er.

 

Ich rufe beim Sozialamt an und möchte einen Termin vereinbaren. „Termine gibt es nicht. Kommen Sie und stellen Sie sich an.“ Ich muss mich an die Sitten in Ämtern erst gewöhnen, ich kenne das nicht.

 

Wir treffen uns. Wir umarmen uns. Er erzählt mir seine Geschichte zusammen mit einer arabischen Übersetzerin. Wir warten eine Stunde weil nur ein Termin vor uns ist. Das geht ja noch. Aber was ist bei vier Vorterminen. Naja, Arbeitslose haben ja Zeit.

 

Wir besprechen seinen Fall, die Frau ist freundlich und bemüht. „SBG gibt’s ab 19.7.2016, das ist heute, weil er sich heute erst gemeldet hat“, sagt sie. Wir sagen: „er war am 8.6.2016 schon da.“ Sie: „Beweisen sie das.“ Ich sag: „die Übersetzerin war dabei.“ Und zwar dieselbe, die auch jetzt übersetzt.  „Das zählt nicht, es muss ein schriftlicher Beweis her“, entgegnet sie. „Aber das muss doch in der Akte stehen.“ Tut es nicht – aber die Akte liegt gar nicht vor uns.

 

Ich argumentiere mit ihr, kämpfe um ein wenig Geld, wo ich doch selber so reich bin. „Gut, es gibt ein neues Gesetz, dass es rückwirkend ab 1.7.2016 Geld gibt.“ Das fällt ihr plötzlich ein. Grandios ist das. Na wenigstens ein ganzer Monat. Sie sagt, er muss einen Antrag ausfüllen und reicht ihn ihm. Er sagt:  „kein Problem, ich hab schon einen Antrag“, und zieht seine Papiere hervor. Ein Antrag. Eingangsdatum 8.6.2016.

 

„Ach da haben wir ja Glück gehabt. Dann bekommt er ab 1.6.2016 SBG, das ist ja die Schrift von Frau Müller“. Das ist der Beweis, dass er da ist. Glauben Sie mir das nicht? Doch, so war es. Und so ist das jedes Mal, wenn ich mit den spreche. Schlamperei, Fehlinformationen, rechtliche Falschauskünfte, Abwehrstrategie, Angst vor Fehlverhalten und Vorgesetzen und die Buchstaben des Gesetzes werden immer nur dann bemüht, wenn es einen Nachteil bedeutet.

 

Und munter geht es weiter: „Was brauchen wir für Unterlagen?“

 

„Er muss im Landkreis Miesbach wohnen.“ Ich sage, dass er keine Wohnung hat (die ganze Geschichte, wie sie hier steht) aber er ist noch im Asylheim gemeldet.  Aber er wohnt dort nicht. Ich sage, dass er bis 18 bei mir wohnen kann. Nach München kann er ja dann doch fahren oder?

 

„Ja. Das geht.“ „Was brauchen wir dann?“ „Die Anmeldung.“

 

Ich melde ihn bei mir an, maile die Anmeldung ans Amt, er fährt nach München. Ich sag: „Wenn irgendetwas ist, komm zu mir.“ Ich hab ein großes Haus und ein Zimmer für ihn.

 

Ich bekomme eine Antwortmail von einer anderen SBG Mitarbeiterin:

 

Hallo Mr. Karl,

 

leider fehlen mir noch Unterlagen.

 

- Nachweis, wo sich unser Kunde (toll gell, das mit dem Kunden) vom 27.05.2016 bis 19.07.2016 aufgehalten hat

 

- Nachweis, wie er seinen Lebensunterhalt seit 6.5.2016 bestritten hat

 

Außerdem würde ich gerne wissen, bei wem genau der Kunde nun angemeldet ist und ob er dort auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Bitte auch eine entsprechende Bescheinigung  einreichen. Gibt es auch eine Person, die sich um den Herrn H. kümmert? Weil soweit ich informiert bin, hat er es beim Jugendamt abgelehnt, dass ein Vormund bestellt wird. Dazu bitte auch eine Bescheinigung der Person, die die Verantwortung übernimmt. Die Unterlagen sind bitte bis zum 04.08.2016 einzureichen. Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

 

SBG kann frühestens ab 19.7.2019 gewährt werden, weil er sich vorher nicht im Landkreis aufgehalten hat. Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

In mehreren Telefonaten versuche ich klar zu machen, dass es völlig von dem abweicht, was ihre Kollegin gesagt hat.

 

Sie sagt unter anderem, dass sie eine Bestätigung über jede einzelne verbrachte Nacht Mohannats möchte, von allen Personen wo er sich aufgehalten hat, Lückenlos. Er könnte ja in einem 4-Sternehotel gewesen sein. Alles schon vorgekommen. Und: „Ich habe Sie, Herr Karl, auf der Liste wegen SBG Betrugs zwecks Wohnortvortäuschung, er hätte das ja vorher wissen müssen wegen seinem Onkel in Solingen, dafür kann ich nichts, dass er nicht mehr ins Asylheim darf, die andere Mitarbeiterin war nur für die Formularausgabe zuständig, es zählt nicht was sie sagt, er steht der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung, er will sich wohl auf unsere Kosten hier einen guten Lenz machen.“

 

Ich sag: „aber er war obdachlos, er wollte im Asylheim wohnen, aber das Landratsamt hat es nicht genehmigt, wovon soll er leben,  er ist 17, verstehen sie doch, soll er sich prostituieren (da war ein großer Artikel in der SZ, dass es über 3000 Mohannads gibt), er kann bei mir wohnen, er ist sofort da, wenn es Arbeit gibt, er würde jedem die Schuhe küssen, wenn er Arbeit bekäme.“

 

„Wir müssen Ausländer wie Deutsche behandeln, das steht so im Gleichstellungsgesetz.“ Na endlich, das wäre ja mal was neues.  

 

Ich: „Ja. Da schon. Aber sonst, behandelt ihr auch sonst Ausländer so wie Deutsche?“

 

„Und behandelt ihr Deutsche wirklich auch so?“ Bin ich froh, nicht SBG Bedürftig zu sein.

 

Zum Abschied noch die zynischen Worte: „Jetzt haben Sie ja erst mal was zu tun.“

 

Ich weiß nicht mehr weiter und habe die Idee, das Jugendamt in München anzurufen. Ich habe eine sehr nette Dame am Telefon, die mir erklärt, dass es jetzt ein neues, gerade von OB Reiter eingeweihtes Young Refugee Center gibt. Da soll ich mich hinwenden. Dort wird mir geholfen, er kriegt Unterkunft, mehr Geld als bei SBG, einen Schulplatz.

 

Ich rufe an. „Wir machen keine Termine, kommen Sie vorbei.“

 

Ich nehme mir einen Tag frei und fahre mit Mohannad nach München in die Marsstrasse. Es ist Donnerstag. Ich werde von einer sehr freundlichen Erzieherin empfangen. Es gibt 300 Übernachtungsplätze. Sicher kann Mohannad hier unterkommen. Wir füllen Fragebogen aus.

 

Eine kurze Rückfrage bei ihrer Vorgesetzen ergibt: Er muss eingewiesen werden, ich kann nichts für ihn tun. Er soll sofort dablieben. Menschliche Härte schlägt mir entgegen, Paragrafen, das Gesetz.

 

Ich vereinbare, dass Mohannad seine Sachen holt und am nächsten Morgen kommt. Sie sind einverstanden. Sie wollen, dass ich auch wieder komme. Ich habe aber keine Zeit. 

 

Um 12 Uhr rufe ich an und frage, wie es vorangeht.

 

„Wir haben Mohannad in den Zug nach Miesbach gesetzt. Wir sind nicht zuständig. Das Jugendamt Miesbach ist zuständig. Er wird vom Jugendamt abgeholt.“

 

Ich fahre zum Bahnhof und bin da. Der Mitarbeiter vom Jugendamt bringt ihn im Auto zum Jugendamt. Ich frage ob ich mitkommen kann. Ja, aber sie dürfen nicht mit in die Besprechung. Ich fahre zum Jugendamt. Rede mit der Leiterin. Sage, dass ich der einzige bin, dem er vertraut. Er ist euch doch das letzte Mal abgehauen nach zwei Stunden.

 

Egal. Es ist wegen dem Datenschutz.

 

Ich warte 30 Minuten auf dem Gang und höre jedes Wort, das gesprochen wird. Toller Datenschutz.

 

Ich höre dass nichts vorangeht.

 

Die (sehr nette) Leiterin kommt heraus und holt mich herein, weil sie mit ihm nicht weiterkommen. Er will in keine Pflegefamilie. Er will nach München.

 

Totale Ratlosigkeit.

 

Ich sage spontan, dass ich Mohannad mit zu mir nehme bis er volljährig ist, das sind nur zwei Monate, und dass ich die Vormundschaft übernehme. Allgemeine Erleichterung. Freitagabend – man will nach Hause. Ich auch. Mohannad kommt mit.

 

Mohannad zieht bei mir ein.

 

Es kommt der SBG Bescheid. Obwohl er sich bereits am 8.6.2016 bei der SBG-Stelle gemeldet hat, bekommt er erst ab 19.7.2016 Leistungen. Begründung: Herr Mohannad hat sich erst ab diesem Zeitpunkt im Landkreis aufgehalten. Dass er obdachlos war wurde nicht berücksichtigt. Dass er in seiner alten Wohnung wieder einziehen wollte wurde nicht berücksichtigt. Dazu nochmal mündlich die Drohung, dass er den Landkreis nicht verlassen darf, sonst bekommt er keine Leistung! Viel später erfahre ich von einem Rechtsanwalt, dass dies alles falsch ist. Für 17-jährige Schulpflichtige gibt es keine Ortsansässigkeitspflicht. Obdachlose dürfen sich pro Forma bei Freunden anmelden.

 

Ich recherchiere mögliche Schulen. Es gibt in München keinen einzigen freien Schulplatz für junge Asylbewerber/oder anerkannte.

 

Ich bekomme einen Schulplatz in der Berufsschule Miesbach für ihn. Er soll dort ab 15.9.2016 in die Schule gehen. Jetzt sind Ferien. Trotzdem muss er im Landkreis bleiben.

 

Am Wochenende fährt Mohannad zu seinen Freunden nach München. Er hat 20 Freunde, sie sind meistens im Michaelibad und bestaunen deutsche Bikinis.

 

Das verblüffendste ist aber, dass er unglaublich gut Deutsch lernt. Einer seiner Freunde ist Medizinstudent. Mit ihm lernt er 4 Stunden deutsch täglich. Es ist unglaublich.

 

Dann kommt er wieder zu mir. Sitzt im Zimmer und langweilt sich. Ich lerne mit ihm deutsch. Wir arbeiten im Garten zusammen. Er ist total nett. Am Dienstag geht es bereits los. „Kann ich nach München. Ich will nach München.“

 

Ich sage, dass es nicht geht. Ich rufe das Jugendamt an, ob die mir helfen können. Nein, können sie nicht. So wird Integration unmöglich gemacht. Es sind Schulferien, man hat sowieso keine Arbeit, er könnte in München deutsch lernen. Er darf nicht nach München, weil Frau Hartz IV es so will. DAS IST PERVERS – und noch dazu unrecht.

 

Es reift eine neue Idee. Er geht in Miesbach in die Schule, zieht nach Holzkirchen. Da kann er dann seine Freunde in München besuchen.

 

Ich suche in immoscout.24. Keine Wohnungen oder der qm 15 Euro. Ich rufe die Stadt Holzkirchen an. 200 Personen auf der Warteliste für städtische Wohnungen. Ich rufe das Jugendamt an, ob sie helfen können. Nein, wir können nicht helfen.

 

Es macht keine Freude, einen 17-jährigen zu beherbergen, der gar nicht da sein will. Ich verstehe ihn. Ich war auch 17. Aber ich hatte eine Mutter, die für mich sorgte. Er hat nichts und niemand.

 

Letztens sagte er zu mir: „Wenn Assad gewinnen meine Onkel tot. Wenn Opposition gewinnen mein Bruder tot, wenn IS gewinnen ganze Familie tot.“ Sein Bruder ist bei Assads Polizei (Verkehrspolizei); er ist sehr stolz auf ihn.

 

Heute: Die Rechnung von der AOK für die Zeit, in der Mohannad kein SBG bekommt beträgt Euro 399,00. Ich rufe bei der AOK an. Er ist Pleite. Antwort: „Das ist total billig. Unser billigster Tarif. Ich kann nichts machen. Wenden Sie sich ans Sozialamt.“

 

Ich wende mich an das Sozialamt. Keine Antwort. Ich schreibe einen Brief an die AOK:

 

„Ich Mohannad bin 17 Jahre. Ich habe kein Geld. Ich bin nicht Volljährig. Wegen den Beiträgen wenden Sie sich bitte an meinen Vater und Erziehungsberechtigten, Mohammad Hajmusa, Damaskus, Amanstrasse 4. Ich weiß nicht wie man Insolvenz beantragt.“

 

Ich betreue ja auch noch 4 Nigerianer. Wir reden über den Fall. Sie sagen: Miesbach ist der übelste Landkreis in den man geschickt werden kann. Alle haben Angst, nach Miesbach verlegt zu werden. Es ist nur Schikane. Ich kann es nicht glauben. Wir haben doch einen grünen Landrat.

 

Ich rede mit jemand vom Asylhelferkreis ob ich mich an den Landrat wenden kann. Es ist der erste grüne Landrat in Deutschland – Reszak.

 

Antwort: „Den kannste total vergessen. Der macht nichts. Wenn du dem schreibst, dann schickt er den Brief an die Stelle über die du dich beschwert hast.“

 

Das Winkelstüberl ruft mich an und hat einen Job für Temitope. Er wartet seit 6 Monaten auf einen Job. Ich rufe bei der Ausländerbehörde an und frage, ob ich die Arbeitserlaubnis bringen und abholen kann.

 

Das dauert 3 Wochen. Der Antrag geht zuerst ans Landratsamt, dann ans Arbeitsamt Holzkirchen, dann ans Arbeitsamt Düsseldorf, dann ans Migrationsamt in Berlin und dann den gleichen Weg wieder zurück. Ich frage, ob man ihn nicht wenigstens vorläufig beschäftigen kann: „Schwarzarbeit wird mit bis zu Euro 25.000,00 bestraft.“

 

Ich rufe das Winkelstüberl an. Antwort: „Ich brauche den Arbeiter jetzt, nicht in drei Wochen. Der Arbeitsplatz wird an jemand anders vergeben.“

 

Jaja. Wir würden das schon schaffen. Alle würden mitspielen. Insbesondere die Arbeitgeber. Aber man will es nicht. Merkel kassiert den Nobelpreis für eine noble Geste und ihre Mitarbeiter schaffen es nicht, einem jugendlichen Menschen das notwendige Geld und die Unterkunft zu gewähren und brauchen 3!!!!! Wochen für einen Stempel. Das ist doch ein Skandal.